Philip Manow – (Ent-)Demokratisierung der Demokratie


Wenn ich in einem Buch wahnsinnig viel anstreiche, dann heißt das zum einen, dass es ein sehr gutes Buch ist und zum anderen, dass ich sehr schlecht im Anstreichen bin (ich gebe bequemerweise dem Kindle die Schuld).

Dieser Essay des Politikwissenschaftlers Philip Manow ist ein solches sehr gutes Buch, vielleicht handelt es sich sogar um die beste politische Zeitdiagnose die ich kenne – nicht zuletzt, weil ich einige der Annahmen und Schlüsse vergleichsweise unbequem finde.

Krise der Repräsentation

Manow schließt sich all jenen nicht an, die eine Krise der Demokratie zu erkennen glauben; er attestiert vielmehr der Demokratie eine Krise der Repräsentation. Repräsentation war das Prinzip, wie er in einem historischen Abriss der französischen wie amerikanischen Revolution aufzeigt, welches Demokratie – die damals verhasst war – überhaupt möglich machte: „Demokratie, so die seinerzeit dominante Auffassung, sei eine Gefahr für das Gemeinwesen, eine Form der Klassenherrschaft, die sich mit einer bürgerlichen Eigentumsordnung nicht vertrage.“ So war und ist die Primärfunktion der Repräsentation zunächst Exklusion – Volksherrschaft ohne Volk, sondern durch seine Eliten. Der „republikanische Kompromiss“.

Die Krise der Repräsentation macht Manow nun als „Funktions- und Legitimationsverlust bewährter Artikulations- und Repräsentationsinstanzen“ fest, genauer der politischen Parteien, der Parlamente und der Medien.

Demokratisierung von Parteien und Medien

Parteien, so Manow, durchliefen tatsächlich eine Demokratisierung, wie er an dem erleichterten Zugang von politischen Freibeutern wie Trump oder Sanders zu den US-Vorwahlen und an den immer beliebter werdenden Urwahlverfahren europäischer Parteien belegt. Allerdings geben sie damit auch ihre Repräsentationsfähigkeit preis, denn solche Verfahren begünstigen in der Tendenz immer Kandidaten der Ränder, die zwar der Parteibasis und ihren Sympathisanten gefallen, im anschließenden Wahlkampf aber kaum mehrheitsfähig seien. Beispielhaft wird hier die Momentum-Bewegung von Jeremy Corbyn und die Spreizung der französischen Parteienlandschaft genannt. Letztere eröffnete Macrons La République en Marche erst den Raum zu seinem Wahlsieg.

Manows Mediendiagnose ist hingegen sattsam bekannt: Gesunkene Zugangshürden, der Verlust der Intermediäre, die direkte Ansprache der Bürger durch Parteien und Politiker unter Umgehung etablierter Massenmedien. Also auch hier Repräsentationsverlust durch fortschreitende Demokratisierung.

Und die Parlamente? Hier diagnostiziert Manow eine zunehmende Entmachtung bedingt durch Verrechtlichung, Globalisierung, Europäisierung. Vor allem der erste Punkt wird von Manow offenbar äußerst kritisch gesehen. Der politische Streit verlagere sich „zunehmend aus dem Parlament ins Rechtssystem“ und mehr noch: Das Kodierungsverhältnis zwischen Recht und Politik habe sich „tendenziell umkehrt: von der demokratisch legitimierten Positivierung des Rechts, das dann durch Rechtsprechung ausgelegt wird, hin zur weitgehenden Programmierung der Politik durch ein autonomes, dieser Positivierung gerade entzogenes Recht.

Paradoxie

Hiermit ist übrigens nur der erste, aber für mich auch gewinnbringendere Teil des Essays abgedeckt. Neben der Demokratisierung erkennt Manow eine parallel laufende – und durch sie verstärkte – Entdemokratisierung. Hier franst Manows Argumentation für mein Verständnis (nach der ersten Lektüre) etwas aus, streift den Nationalstaat, Universalismus, die Idee, dass man die Demokratie schon in die Krise versetzt, wenn man ihre Krise diagnostiziert. Der Kern des Arguments scheint aber unter Anwendung von Luhmanns Figur des Re-Entry (ich freue mich ja immer, wenn mal die einzige soziologische Theorie, die ich wirklich kenne, Anwendung findet) die Paradoxie zu sein, innerhalb der Demokratie über die Unterscheidung demokratisch/undemokratisch diskutieren zu müssen. Das mutet etwas esoterisch an, wird von Manow aber sehr eindrucksvoll in Worte gekleidet. Das folgende Zitat ist nur ein Beispiel dafür:

Es ist also geradezu unsere demokratische Pflicht, die Gesellschaft ganz entschieden und mit allen politischen Konsequenzen in zwei Gruppen zu teilen: in diejenigen, die die Gesellschaft in zwei Gruppen teilen, und in die, die das nicht tun.

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